In der Vineyard Wien stehen wir gerade in einer Umbruchphase. Wir sind übersiedelt, wir haben viel hinter uns gelassen, viele Dinge machen wir anders und neu. Und dennoch sind derzeit noch keine „Ergebnisse“ sichtbar. Wir machen als Gemeinde nach wie vor eine Art Sabbatical, wo wir bewusst nicht aktiv werden, nicht nach außen gehen, sondern auf Gottes Führung warten. Das ist nicht immer leicht. Michael White und Tom Corcoran schreiben in ihrem Buch „Rebuilt“ davon, dass am Anfang des Umgestaltungsprozesses ihre Pfarre von 300 auf 100 Mitglieder „gewachsen“ ist. Eine kühne Behauptung, aber ich verstehe den Hintergrund. Es hat ein Prozess der Klärung stattgefunden, im Zuge dessen all jene, die sich mit der neuen Vision nicht identifizieren konnten, gegangen sind, und nur der Kern, der bereit war die neue Vision mitzutragen, geblieben ist.

Ich empfinde das weder als frustrierend noch als lieblos gegenüber denen, die gegangen sind. Im Endeffekt profitieren beide Seiten von solchen Prozessen: Jene die gehen, weil sie sich einen neuen Platz suchen, an denen sie das, was Gott ihnen aufs Herz gelegt hat besser leben können als in ihrem alten Umfeld. Und jene die bleiben, weil ihnen damit die ganzen Reibereien mit jenen, die die neue Vision nicht sehen können erspart  bleiben, und sie dadurch ihre ganze Energie auf den Prozess der Erneuerung konzentrieren können.

Dieser drastische Schrumpfungsprozess ist uns seit Margit und ich die Leitung übernommen haben erspart geblieben. Ja, es verabschieden sich auch jetzt gelegentlich noch Einzelne. Aber im Grunde ist es doch so, dass sich ein starker und gesunder Kern zu etablieren beginnt. Was ich sehe ist, dass jetzt die schwierigere Phase der Geduld beginnt. Wenn wir unseren Prozess auf eine Topfpflanze umlegen, dann würde ich ihn so sehen: Wir sind aus dem alten Topf herausgenommen worden, dürres Zeug und tote Wurzeln wurden abgeschnitten, und jetzt sind wir in einen neuen Topf mit frischer Erde eingepflanzt worden. Das ist schon einmal gut und wichtig. Nur ist es oft so, dass Pflanzen, die beschnitten und umgetopft wurden, keineswegs sofort wie wild zu wachsen beginnen. Sie brauchen noch Zeit. Neue Wurzeln müssen sich ausbilden. Die ganze Pflanze muss sich erst an die frische, neue Erde gewöhnen. Und erst dann beginnt sie, wieder neu auszutreiben. Und selbst dann geht das nicht immer gleich explosionsartig, sondern wachsen erst einmal neue Knospen, aus denen sich erste neue Triebe entwickeln, die dann auch wieder erst kräftig genug werden müssen, bis dann irgendwann der große Wachstumsschub einsetzt.

So sehe auch ich uns in einem Stadium, in dem wir erst frische Wurzeln ansetzen müssen, langsam wieder zu Kräften kommen, und erst dann wieder sichtbares Wachstum einsetzen wird. Im Obstbau ist es oft so, dass man bei jungen Bäumen wenn sie im ersten Jahr viele Früchte hervorbringen, einen erheblichen Teil dieser Früchte lange vor der Reife wieder abnimmt, weil der junge Baum noch zu wenige Blätter und Wurzeln hat, um diese Früchte versorgen zu können, und der Baum – wenn alle Früchte oben bleiben würden – sich so verausgaben würde, dass er abstirbt. Ich weiß, das sind alles nur Bilder, aber mir helfen sie, zu verstehen, wo wir als Gemeinde derzeit stehen, und warum die Dinge so sind wie sie sind. Michaela Bartuska hatte im Dezember 2017 ein Bild davon, wo wir als Gemeinde derzeit stehen. Dieses Bild passt sehr gut in meinen Eindruck vom organischen Wachstum hinein.

Ich bin überzeugt davon, dass Dinge, die langsam wachsen, gesünder wachsen und länger Bestand haben. Ja, das braucht in der Anfangsphase Geduld und Ausdauer. Es braucht viel Vertrauen darin, dass Gott auch dann wirkt, wenn nach außen hin keine Ergebnisse sichtbar sind. Ich höre so oft von Gemeindegründungen, die am Anfang keineswegs schnell gewachsen sind, sondern die ersten Jahre mühsam und zäh erschienen, weil sich nach außen hin so wenig tat. Die Vineyard Bern, die heute weit über 1000 Mitglieder hat und sich mit einer Vielzahl von Diensten in die Menschen vor Ort und in ihr lokales Umfeld investiert, entstand als kleine Gruppe, die sich im Wohnzimmer traf, und die in den Anfangsjahren nur wenig Wachstum erlebte. Und das ist nur ein Beispiel von so vielen anderen. Es ist so wichtig, dass wir in den Jahren, in denen scheinbarer Stillstand herrscht, und wo sich trotz aller Bemühungen (noch) keine sichtbaren Ergebnisse einstellen wollen, nicht aufgeben, sondern Gott weiterhin vertrauen.

Ich bin im Grunde meines Herzens eigentlich ein ziemlich ungeduldiger Mensch. Mir ist es zuwider, endlos lange herumzudiskutieren bevor man etwas beginnt (und lerne, dass ein gesundes Maß an Diskussion sehr wohl hilft, um Dinge um Vorfeld zu klären um Fehler zu vermeiden), ich will tun, etwas umsetzen, und zwar zügig. Lieber heute als morgen. Und trotzdem bin ich dankbar, dass Gott mir eine erstaunliche Beharrlichkeit geschenkt hat, sodass ich jene Dinge, von denen ich überzeugt bin – entweder weil Gott sie mir zugesagt hat, oder ich glaube, dass sie gut und richtig sind – auch gegen alle Umstände festhalte. Manche haben das mit der Haltung verglichen, die Kaleb in 4. Mose 14 hatte, nachdem er das von Gott versrpochene Land gemeinsam mit Josua und den anderen Kundschaftern erkundet hatte. Auf gewisse Weise ticke ich tatsächlich so wie er. Deshalb irritiert es mich in keinster Weise, dass Gott auch nach einem halben Jahr noch nicht klar gesagt hat: So, in diese Richtung! Mir ist das halbe Jahr egal. Ich klammere mich so wie einst Jakob am Jabbok-Fluss an Gott fest und lasse ihn nicht los, bevor er mir oder uns nichts gezeigt hat. Egal wie lange das dauert. Ich habe es so oft in meinem Leben erlebt, dass Gott meinen Herzenswunsch gehört hat, dass er mir die Veränderung geschenkt hat, nach der ich mich so sehr gesehnt habe, auch wenn es gedauert hat. Oft länger als ich es mir gewünscht hätte. Aber Gott hat meine diesbezüglichen Gebete immer erhört, und mich nie hängen gelassen.

Ich bin überzeugt davon, dass wir – wenn wir uns auf diesen langsamen Prozess einlassen – zwar länger brauchen werden, bis erste Ergebnisse sichtbar werden. Aber dann wird es wahrscheinlich schnell gehen, und werden wir möglicherweise staunen, woher auf einmal die vielen neuen Leute kommen werden, die auf der Suche nach Gott zu uns in die Vineyard Wien gefunden haben. Lassen wir also ein auf diesen Prozess, versuchen wir nicht, ihn abzukürzen, und vertrauen wir Gott auch dann, wenn es so aussieht, als ob er mit seinen Augen und Ohren gerade ganz wo anders wäre. Kontrafaktisches Denken hilft mir dabei immer wieder. Was wäre gewesen, wenn Daniel nach 19 Tagen aufgehört hätte zu fasten und zu beten? Was wäre gewesen, wenn Jesus nach 30 Tagen in der Wüste gesagt hätte, danke, mir reicht’s? Und manchmal ist die Antwort von Gott einfacher als wir es sehen wollen.