Eine Mahnung eines KZ-Überleben zu unserem Engagement in der Politik

Es schmerzt mich immer wieder zu sehen, wie einige Christen von der Politik unmögliches einfordern. Da wird Politik an sich als böse und verwerflich gesehen, und christliche Politiker als unglaubwürdig dargestellt, weil sie sich mit „der Welt“ verbrüdern. Da wird von politischen Parteien gefordert, „rein christliche“ Politik zu machen, weil sie anderenfalls „unwählbar“ sind. Da wird christliche Politik ausschließlich als Familienpolitik gesehen, und der Einsatz für die Armen, Schwachen, Ausgegrenzten und Ausländer, der in der Bibel von uns gefordert wird, ist kein Thema.

Unlängst habe ich vom KZ-Überlebenden Rudi Gelbard  in einem Interview im Ö1-Radiokolleg eine unerwartete Aussage gehört. Er meinte folgendes:

„Der Widerstand gegen Hitler war nicht Weiß. Er war Grau. Und wenn ich die Wahl habe zwischen Grau und Schwarz, dann möchte ich wenigstens bei Grau dabei sein“

Eine ziemlich provokante Aussage. Hier das zutiefst bösartige NS-Terrorregime. Und dort der „gute“ Widerstand dagegen. Wie kommt Rudi Gelbard dazu, den Widerstand nicht als „Weiß“ sondern als „Grau“ zu bezeichnen? Wie kann er, der doch selbst so gelitten hat unter diesem furchtbaren Regime, so etwas behaupten? Ich denke, aus seiner Aussage spricht eine sehr gesunde und wohltuende Portion Realismus. Er verweigert sich dem zuiefst menschlichen Wunsch, andere Menschen auf ein Podest zu stellen, auf das sie nicht gehören. Ja, es waren zutiefst gute und auch tiefgläubige Menschen im Widerstand. Es waren aber auch z.B. Kommunisten darunter, für die die Sowjetunion das Ideal darstellte. Also ein System, das ebenfalls furchtbare Gräuel an der eigenen evölkerung angerichtet hatte. Ich habe selbst ein Interview mit einem Kommunisten und KZ-Überlebenden gehört, der sagte, dass sein Haupttriebmotiv, das ihm das Überleben im KZ ermöglicht hatte, der Hass war. Das ist verständlich und nachvollziehbar. Gesund ist das aber nicht.

Und trotzdem war es wichtig und notwendig, dass sich all diese Menschen aktiv dem Hitler-Regime widersetzten. Auch wenn Hitler am Ende militärisch geschlagen wurde und nicht durch den Widerstand im eigenen Land. In einer solchen Situation geht es nicht um „Erfolg“, sondern darum, seinem eigenen Gewissen zu folgen. Auch wenn man dafür möglicherweise mit dem Leben bezahlen wird.  Für Menschen in moslemichen Ländern, die sich vom Islam abwenden um Jesus nachzufolgen, ist das auch heute noch Teil des Preises der Nachfolge, den nicht wenige bezahlen. Und unter Hitler es wäre völlig absurd gewesen, sich dem Widerstand zu verweigern, weil da auch hartgesottene Leninisten darunter waren.

Ich denke, wir sollten uns die Weisheit eines Rudi Gelbard zum Vorbild nehmen. Er hat ein zutiefst realistisches Bild vom Menschen. Ihm ist klar, dass es niemals „Weiß“ gibt. Und weil ihm das klar ist, hat er die Entscheidung getroffen, sich trotzdem einzubringen, und das im Zweifelsfall halt auf der möglichst „hellgrauen“ Seite, im vollen Bewusstsein, dass es auf dieser Welt das „Perfekte“ niemals geben wird. Im Endeffekt hat er den selben Schluss gezogen wie Dietrich Bonhoeffer, den ich hier beschrieben habe.