manchmal kann ich es nicht lassen und äußere mich in sozialen medien auch zu kontroversen themen. ich weiß, das ist riskant, weil das manchmal äußerst unerfreuliche diskussionen nach sich ziehen kann. aber manchmal ist mir etwas wichtig genug dass ich denke, da sollte ich jetzt doch etwas sagen dazu.

 

unlängst hat das aber zu einer reaktion geführt, die mich ziemlich irritiert hat. wenn leute das was ich sage falsch finden – das gehört dazu und dem muss ich mich stellen wenn ich etwas poste. wenn sie mir applaudieren – auch schön, auch wenn das nicht der grund dafür ist, warum ich das tue. die für mich irritierende reaktion war, dass mir gesagt wurde, es sei „unsensibel“, so etwas zu posten.

 

nun habe ich meine erfahrungen damit, dinge zu pointiert, angriffig und unsensibel zu formulieren. das habe ich in der vergangenheit viel zu oft gemacht und damit immer wieder menschen unnötigerweise verletzt und vor den kopf gestoßen. das war nicht gut. gott sei dank hat es menschen gegeben, die mir das immer wieder gesagt haben, und ich habe daraus gelernt – auch wenn ich noch lange nicht perfekt bin was das betrifft, ich habe nach wie vor daran zu arbeiten. erstaunlicherweise wurde aber nicht die art, wie ich die dinge formuliert habe, als unsensibel kritisiert, sondern der inhalt des gesagten. es war nicht das „wie“, sondern das „was“. und das hat mich dann doch ziemlich erschüttert. nicht mich persönlich. sondern mein weltbild.

 

für mich hat das die frage aufgeworfen, auf welchem weg wir als gesellschaft sind. für mich ist es beängstigend, wenn meinungen nicht mehr deswegen kritisiert werden, weil man sie nicht teilt, sondern schon alleine deswegen, weil man sie äußert.  das ist für mich etwas sehr problematisches. kein vernünftiger mensch wird es zurückweisen wenn man sagt, dass man doch bitteschön verletzende äußerungen unterlassen sollte. wenn es aber schon als verletzend angesehen wird, eine abweichende meinung zu haben, dann haben wir ein problem und sind eine äußerst ungesunde richtung abgebogen, an deren ende toleranz und offenheit nicht mehr existieren. am ende dieser reise landen wir in etwas, das ich „befindlichkeitsgesellschaft“ nenne, weil dann zu einem sachthema nicht mehr daten und fakten der maßstab sind, sondern mein momentanes emotionales befinden, dem sich im zweifelsfall alles andere unterzuordnen hat.

 

mark batterson beschrieb sein leben in washington d.c. einmal so: „ich lebe in der hauptstadt der politischen korrektheit. bei uns ist es falsch, zu sagen, dass etwas falsch ist. und das ist falsch.“ es ist falsch, weil es den ehrlichen dialog verunmöglicht. es ist falsch, weil es kritische auseinandersetzungen mit einem thema verunmöglicht. es ist falsch, weil es gesunde streitgespräche verunmöglicht. es ist falsch, weil es all die notwendigen auseinandersetzungen verunmöglicht, die brauchen, damit wir als einzelne aber auch als gesellschaft uns weiterentwickeln. ich werde nichts lernen, wenn ich immer nur mit samthandschuhen angegriffen werde und mich niemals jemand herausfordert.

 

ich hätte zum beispiel nie gelernt, dass meine gesprächskultur für mein gegenüber nicht angenehm ist, wenn mir das nie jemand gesagt hätte. anfang 20 war ich so verbohrt, dass ich der festen überzeugung war ein recht darauf zu haben, mich wie ein grauslicher egoist zu benehmen, weil ich ja so arm und verletzt war. und es machte mich unglaublich wütend, wenn es dann leute gab, die meinten, dass das so nicht ok sei. es machte mich wütend, wenn menschen mich mit meiner opferhaltung konfrontierten und mich auf meine eigenverantwortung hinwiesen. das habe ich als unglaublich unsensibel empfunden und es hat meine gefühle so richtig verletzt. und das schreibe ich jetzt nicht als zynische übertreibung, es war wirklich so. natürlich sehe ich das heute anders. aber was wäre gewesen, wenn die menschen in meinem umfeld gesagt hätten: oh, der arme helmut, er hatte es so schwer, wir müssen ihn schon verstehen, und dürfen ihm bitte nicht auf seine charakterschwächen ansprechen, weil das würde ihn in seinen gefühlen tief verletzen. meine befürchtung ist: ich wäre heute ein einsamer und verbitterter zeitgenosse, der völlig in seiner opferhaltung festgefahren wäre und der ganzen welt aber nicht sich selbst die schuld an seinem elend geben würde. ich bin zutiefst dankbar, dass mir so ein leben erspart geblieben ist. weil menschen mutig genug waren und mich aufrichtig genug liebten, um mich auf eine weise, die ich als zutiefst unsensibel empfand und die meine gefühle tief verletzte,  mit meinen schwächen zu konfrontieren. jesus war voller liebe. aber er war nicht „lieb“. „lieb“ und „liebe“ haben nur die ersten vier buchstaben gemeinsam, aber sonst nicht viel.

 

was will ich damit sagen: ist es wichtig, sich darum zu bemühen, seinen standpunkt auf eine weise zu äußern, die nicht unsensibel, nicht verletzend und nicht abwertend ist? unbedingt. auch wenn wir wissen, dass wir es nie allen menschen recht machen können. paulus schreibt im römerbrief, dass wir soweit es uns möglich ist mit allen menschen in frieden leben sollen. dass wir es niemals allen menschen recht machen können darf keine ausrede für rücksichtslosigkeit sein.

 

auf der anderen seite wünsche ich mir aber, dass wir wieder so etwas wie eine gesunde streitkultur lernen. wo es möglich ist, differenzen auszutragen. ich kann das gegenwärtige harmoniebedürfnis, das solche dinge so schlecht aushält, gut verstehen. meine kindheit war geprägt davon, dass kinder zu folgen hatten und basta. widerspruch wurde nicht geduldet, man hatte sich dem zu fügen was von erwachsenen vorgegeben wurde. das ist ein grausliches zerrbild von autorität. wir haben zwei furchtbare kriege und drei generationen traumatisierter väter hinter uns. das hat spuren hinterlassen. weil wir so selten gesunde autorität und kaum je gesunde streitkultur und gesunde kritik kennengelernt haben. wie gesunde autorität aussieht hat uns jesus vorgelebt. er war sich nicht zu schade, seinen jüngern die füße zu waschen oder sich mit dem gesellschaftlichen abschaum abzugeben. und gleichzeitig hat er die religiöse elite mit der ganzen kraft seiner autorität mit ihrem zerrbild von gott, dass sie vermittelt haben, konfrontiert. er hat sich von einer stadtbekannten hure die füße salben lassen. und die händler mit einer aus stricken geflochtenen peitsche aus dem tempel verjagt. jesus war voller liebe. aber er war nicht lieb. er sagte zu petrus: „geh weg von mir, satan!„. und vergab ihm und rehabilitierte ihn obwohl er nach der verhaftung jesu nicht nur abgestritten hatte, ihn zu kennen, sondern sogar gesagt hatte, dass gott ihn verfluchen soll wenn er jesus kennt.

 

es ist nicht unsensibel, wenn wir unterschiedlicher meinung sind. eine meinung ist eine meinung. aber ich bin nicht meine meinung. meine meinungen und ansichten sind nicht meine identität, sie definieren nicht, wer ich bin. jesus definiert, wer ich bin. er ist es, der mir wert und würde gibt. der mir meine ganzen fähigkeiten und begabungen gegeben hat. der an mich glaubt. der mir dinge anvertraut, weil und obwohl er mein innerstes kennt. eine meinung kann natürlich auf unsensible weise geäußert werden. aber die meinung selbst kann niemals unsensibel sein. sie ist eine bestimmte haltung zu einer bestimmten sachfrage. und wir dürfen selbstverständlich unterschiedliche meinungen zu einer frage haben. ich werde für meine meinungen ja auch regelmäßig kritisiert. und immer wieder auch zu recht. wir sind als menschen verschieden, gott hat uns so geschaffen, es wäre unglaublich langweilig, wenn wir alle gleich wären. diskussionen und streitgespräche gehören zum leben dazu, sie sind wichtig, gut und notwendig, so lange sie nicht auf einer persönlichen ebene geführt werden, wo es dann nicht mehr um die sache geht sondern darum, das gegenüber niederzumachen und abzuwerten. ich streite mich auch mit meiner frau wenn wir unterschiedlicher ansicht sind, aber ich würde sie in einem solchen streit niemals als person angreifen. es macht einen gewaltigen unterschied ob ich in einem streit sage „ich finde…“ oder „du bist…“. bei ersterem bleiben wir trotz allem im gespräch. bei letzterem landen wir in einem verletzenden und zerstörerischen kampf bei dem es keine gewinner gibt.

 

lassen wir es doch zu, dass abweichende meinungen uns herausfordern. wir brauchen solche herausforderungen. ich habe aus solchen streitgesprächen so viel gelernt. nicht nur durch das, was mir andere darin sagten. sondern auch dadurch, dass ich mich in solchen streitgesprächen auch mit meinem eigenen standpunkt auseinandersetzen musste und so vieles gründlicher nachgeforscht habe als ich es sonst getan hätte. und auf diese weise entweder meinen standpunkt selbst besser verstand, oder aber lernte, dass ich ihn augeben sollte weil eine andere ansicht besser begründet ist als meine. ich glaube nicht dass es gesund ist, wenn wir so sensibel sind, dass uns eine abweichende meinung in einer sachfrage verletzt. ich glaube, es ist wirklich wichtig, dass wir innerlich so weit gefestigt sind, dass wir solche differenzen aus- und ertragen können.

 

an dieser stelle möchte ich ein video verlinken, das mich sehr nachdenklich gemacht hat. man kann dieses video auf zwei arten sehen: wir können über das darin gesagte lustig machen und die handelnden personen für idioten halten. dann haben wir das video meiner meinung nach aber nicht verstanden. mir war danach ehrlich gesagt nicht zum lachen zumute. ja, natürlich ist das video völlig überzeichnet. aber nicht um des billigen effekts willen, sondern um die botschaft klarer herauszuarbeiten. die uns zeigen will, wohin es führen kann, wenn wir verlernen, differenzen zu ertragen und dinge wenn nötig auszudiskutieren oder sogar auszustreiten. am ende so einer entwicklung steht keine friedlichere gesellschaft. sondern eine völlig erstarrte. aber seht selbst: