Schuld ist zu so einem schwierigen Wort geworden. Niemand will heute mehr an irgend etwas „schuld“ sein. Aber trotzdem machen wir uns alle schuldig. Immer wieder. Wir hängen destruktiven Gedanken nach. Wir sagen unüberlegte Dinge und verletzen damit andere Menschen. Wir verletzen andere Menschen absichtlich, weil wir der Meinung sind, sie hätten das verdient. Wir sind sehr genau, wenn es um die Fehler anderer geht, und sehr großzügig, wenn es um unsere eigenen Fehler geht. Und das ist nicht gut. Weil es das zerstört, was wir als Menschen unbedingt brauchen: Gute Beziehungen zu den Menschen um uns herum.

Leider ist es in der Populärpsychologie irgendwann in Mode gekommen, das Konzept von „Schuld“ pauschal abzulehnen. Da geht es dann nicht mehr darum, Verantwortung für die eigenen Fehler und das eigene Versagen zu übernehmen, sondern vor allem darum, zu erklären und zu verstehen, warum man nicht anders konnte. Und das ist alles andere als gesund. Wenn ich nicht mehr schuldig bin, führt mich das keineswegs in die Freiheit. Wenn ich kein Täter, sondern nur Opfer bin, bin ich nicht frei, sondern ausgeliefert. Damit sage ich im Grunde, dass ich unfähig bin, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Das ist das Gegenteil von einem freien, selbstbestimmten Leben. Und führt dazu, dass ich immer mehr damit beschäftig bin, ein immer größeres Gebäude aus Rechtfertigungen, Entschuldigungen und Schuldzuweisungen an andere aufrecht zu erhalten, nur um mir das Offensichtliche nicht eingestehen zu müssen. Das ist nicht nur anstrengend, sondern führt auch zu einem würdelosen Leben. Opfer haben keine Würde. Sie bekommen vielleicht Mitleid, aber sicher keinen Respekt.

Jesus zeigt uns einen viel besseren Weg aus dieser Sackgasse: Er befreit uns davon, uns selbst entschuldigen und rechtfertigen zu müssen. Jesus gibt mir die Möglichkeit, ganz offen zu meinen Fehlern und meinem Versagen zu stehen. Ich muss das alles nicht mehr verstecken, ich muss mich nicht mehr rechtfertigen, ich muss nicht krampfhaft nach Ausreden oder Rechtfertigungen suchen. Der Apostel Johannes schreibt in seinem ersten Brief:

„Doch wenn wir unsere Sünden (damit ist gemeint: Unsere Schuld, unser Versagen, das Böse, das wir getan haben) bekennen, erweist Gott sich als treu und gerecht: Er vergibt uns unsere Sünden und reinigt uns von allem Unrecht, das wir begangen haben.“ (1. Johannes 1,9)

Schon über 700 Jahre bevor Jesus lebte hat Gott angekündigt, dass er genau das tun wird. Der Prophet Jesaja schreibt:

„Selbst wenn eure Sünden (siehe oben) blutrot sind, sollt ihr doch schneeweiß werden. Sind sie so rot wie Purpur, will ich euch doch reinwaschen wie weiße Wolle.“ (Jesaja 1,18)

Frei von meiner Schuld werde ich nicht, indem ich sie verleugne. Sondern indem ich frei werde, sie offen eingestehen zu können. Weil es Gott ein Herzensanliegen ist, mich davon zu befreien.

Viel zu lange standen in der Verkündigung der Kirche die Strafe für Schuld und Sünde im Vordergrund. Das hat zu einem stark verzerrten Gottesbild geführt. Ich habe auf Facebook diese Grafik dazu gefunden, leider ohne Quellenangabe:

Auf Deutsch:

RELIGION: Ich habs verbockt, mein Vater wird mich umbringen.
SOHNSCHAFT: Ich habs verbockt, ich muss meinen Vater anrufen.

Was will uns diese Grafik sagen?

„Religion“ steht für ein Gottesbild, wo Gott als der strenge, strafende Vater dargestellt wird, der ständig über uns wacht und uns sofort eine auf die Finger gibt, wenn wir auch nur eine Kleinigkeit falsch machen.

„Sohnschaft“ steht für das Bild von Gott, das uns die Bibel vermittelt. Jesus beschreibt es in der Geschichte vom verlorenen Sohn, die wir im Kapitel 15 des Lukasevangeliums nachlesen können. Der „verlorene Sohn“ hatte es völlig verbockt. Er hatte sich zu Lebzeiten des Vaters sein Erbe auszahlen lassen. Aber anstatt damit etwas aufzubauen, hatte er es sinnlos verprasst und stand nun völlig mittellos alleine da. Er hatte nichts mehr zu essen, und musste die erniedrigendste Arbeit machen, die für einen Juden vorstellbar war: Die als unrein geltenden Schweine hüten. Der Sohn wusste, dass er alles verspielt hatte, und er von Glück reden konnte, wenn ihn sein Vater nach allem was er getan hatte wenigstens noch als Tagelöhner akzeptieren wollte. Das wäre mehr gewesen, als er verdient hätte. Niemand hätte es dem Vater übel genommen, wenn er diesen missratenen Sohn wieder fortgejagt hätte.

Wie aber reagiert sein Vater, als er zu ihm nach Hause kam?

Der Vater macht das, womit niemand gerechnet hat: Er läuft seinem dreckigen, stinkenden und zerlumpten Sohn entgegen. Er umarmt und küsst ihn. Und er gibt ihm neue Kleidung, neue Schuhe, und einen Ring als Zeichen dafür, dass er ihm ab sofort wieder alle Rechte als Sohn des Gutsbesitzers zugesteht.

Diese Geschichte hat so nie stattgefunden. Das ist auch nicht der Sinn der Sache. Wenn Jesus solche Geschichten („Gleichnisse“) erzählte, ging es nicht darum, dass die so passiert waren, sondern darum, uns zu verdeutlichen, wer dieser Gott ist, den er als seinen Vater bezeichnete. Dieser Gott ist kein strenger, rachsüchiger Gott. Dieser Gott ist ein Gott, dem es absolut keine Freude macht, wenn wir Fehler machen und scheitern. Uns für unser Versagen in die sprichwörtliche Hölle zu schmeißen ist das absolut Letzte, was er will. Wer das nicht glaubt liest bitte selbst nach:

„Meint ihr, es würde mir Freude machen, wenn ein Gottloser sterben muss? Nein, ich freue mich, wenn er von seinen falschen Wegen umkehrt und lebt!“ (Hesekiel 18,23)

Der Gott, den Jesus uns in dieser Geschichte zeigt, ist ein Gott, dessen Herzensanliegen es ist, uns aus unserer Schuld, unserem Dreck und unserem Versagen herauszuholen und wieder herzustellen. Wir können das nicht selbst. Das ist uns als Menschen unmöglich. (Das ist übrigens jener Punkt, wo z.B. die Esoterik völlig daneben liegt.) Und genau deswegen kam Jesus als Mensch zu uns. Er hat uns nicht nur seine Botschaft von der Befreiung von allem Bösen weitergegeben, er hat uns diese Befreiung überhaupt erst ermöglicht, indem er bereit war, die Konsequenzen unserer Schuld vor Gott auf sich zu nehmen. Er hat sich hinrichten lassen, damit wir ein neues Leben haben können. Und alles was nötig ist, um dieses neue Leben zu bekommen ist, dass ich mir selbst eingestehe, dass ich Jesus brauche, weil ich es selbst unmöglich schaffen kann, ein gutes Leben frei von Schuld zu führen. Dieses Leben ist nur in einer intakten Beziehung zum Gott der Bibel möglich. Und genau diese Beziehung hat Jesus dadurch, dass er an unserer Stelle starb, wieder hergestellt. Freiwillig. Weil er uns so sehr liebt.

Was passiert, wenn ich heute Fehler mache?

Natürlich mache ich mich immer wieder schuldig. Das fängt an bei den kleinen so genannten Notlügen an (die selten einer echten Not entspringen), und endet bei Dingen, die für mich früher so peinlich und beschämend waren, dass ich mich deswgen wie der letzte Dreck gefühlt habe am liebsten im Erdboden versunken wäre. Solche Dinge werden Gott sei Dank seltener, aber sie passieren nach wie vor. Der Unterschied zu früher ist: Wenn ich heute solche Dinge tue, muss ich nicht mehr vor Scham vergehen. Ich muss mich nicht mehr vor Gott verstecken, weil ich mich deswegen für den letzten Dreck halte. Im Gegenteil. Ich kann mit all dem Bösen, dem Versagen, dem Schmutz und dem Schund so wie der verlorene Sohn direkt in Gottes Arme laufen. Ich kann in seinen Armen den Schmerz darüber los werden. Und erlebe mich selbst dabei eben nicht wie der sprichwörtliche elende Wurm. Sondern wie ein geliebtes Kind, das in den starken Armen seines Vaters von ihm wieder aufgerichtet wird. Weil meine Schuld ausgelöscht ist, sobald ich vor ihm ehrlich dazu stehe. Wenn ich mich heute schuldig mache, dann zieht mich das nicht mehr hinunter in die Isolation. Sondern hinauf in die Arme meines himmlischen Papas, der so wie der Vater in der Geschichte mit offenen Armen auf mich wartet, um den Schmutz von mir abzuwaschen, mir neue Kleider und neue Schuhe zu geben, und einen Ring als Zeichen dafür, dass ich immer noch zu ihm gehöre. Das erfüllt mich mit tiefer Freude und Dankbarkeit. Und genau diese Freude und Dankbarkeit möchte Gott uns allen schenken, wenn wir bereit sind, uns auf ihn einzulassen.