Chronik meiner Leukämie – Die Pause
Am Samstag, 26. Oktober, wurde ich nach einem Monat und drei Tagen im Hanusch-Krankenhaus für 8 Tage auf „Fronturlaub“ entlassen. Ich habe sieben Tage intensiver Chemotherapie samt Vorbereitung hinter mir und 3 Wochen, die mein Körper brauchte, um sich davon zu erholen. Am Montag, 04. November, gehe ich für die nächsten 3 Wochen zurück ins Spital für die nächste Runde Chemotherapie. Als ich heimging, fand ich es amüsant, von „Fronturlaub“ zu sprechen. Jetzt merke ich, dass es sich tatsächlich so anfühlt. Ich war über einem Monat heraußen aus jeder Normalität. Im Spital ist nichts so, wie im gewohnten Alltag. Und mein Körper musste heftige Belastungen und einige Krisen überstehen die weit jenseits des „Normalen“ lagen.
Jetzt, wo ich daheim bin, merke ich, wie fremd mir das „normale“ Leben geworden ist. Ich fühle mich so wie in einer Art „Zwischewelt“. Meine Frau und meine Tochter sind genau jetzt in Paris. Ein Herzenswunsch meiner Tochter, und ich bin so froh, dass die beiden diesen Urlaub nicht um meinetwillen abgesagt haben. Es ist eine Riesenfreude für mich als Vater, bei unseren Videotelefonaten zu sehen, wie glücklich es meine Tochter macht, diese Stadt und ihre großartigen Sehenswürdigkeiten zu erleben. Und ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich alleine bin. Weil ich auf diese Art meine Tage so gestalten kann, wie es mein ziemlich zerschlagener Körper schafft. Es sind die kleinen Dinge, die so einen Unterschied machen. Alleine dass ich ganz alleine und ohne Rücksicht auf andere darüber bestimmen kann, was und wann ich esse, ist eine unglaubliche Wohltat.
Es ist auch deshalb eine Art „Zwischenwelt“, weil es nur eine kurze Pause ist. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zu der Zeit vor meinem ersten Krankenhausaufenthalt. Damals hatte ich keine Ahnung davon, was auf mich zu kommt. Und das war sehr gut so. Ich wurde in eine völlig neue Situation hineingeworfen und musste zeitweise von einem Tag auf den anderen schauen, dass ich das irgenwie überstehe. Mir war nicht bewusst, wie ernst meine Situation an manchen Tagen war. Erst im Nachhinein erfuhr ich, dass es sehr gute Gründe hatte, dass an diesen Krisentagen mehrere Pfleger und eine Ärztin da waren, um mich über die Runden zu bringen. Aber nicht nur an diesen schlechten Tagen war ich zu sehr damit beschäftigt, die Chemotherapie und die harte Woche danach körperlich und auch emotional zu überstehen, um zu begreifen, wie herausfordernd diese Zeit war.
Deshalb ist es für mich zumindest um einiges schwieriger, wenn ich daran denke, dass ich bald wieder im Spital bin für die nächste Chemotherapie. Ja, meine Ärzte haben mir zugesichert, dass die zweite Chemotherapie nicht so hart wird wie die sehr intensive erste. Vor allem weil mein Körper auf die erste Chemotherapie sehr gut angesprochen hat. Der Knochenmarksbefund vor meiner Entlassung sagte, dass es zu einer vollständigen Rückbildung der Leukämie kam. Das ist eine Momentaufnahme und bedeutet nicht, dass ich gesund bin. Aber es bedeutet, dass die Chemotherapie das bestmögliche Ergebnis erzielt hat. Dafür bin ich unendlich dankbar. Trotzdem: Jetzt weiß ich, was auf mich zukommt. Und das macht es nicht einfacher, wieder ins Spital zu gehen. Auch wenn ich guter Dinge bin. Ich weiß, dass es für mich noch lange nicht Zeit ist, nach Hause zu gehen zu meinem Himmlischen Vater. Diese tiefe innere Sicherheit hatte ich von Anfang an, als die Diagnose kam. Gleichzeitig wusste ich aber auch von Anfang an, dass einige sehr harte Monate vor mir liegen. Die noch nicht vorbei sind. Das ist das emotionale Spannungsfeld, in dem ich momentan stehe. Einerseits die Gewissheit, dass alles wieder gut wird, die durch den sehr positiven Befund bestätigt wurde. Die Dankbarkeit für die kurze Pause Aber eben auch das Wissen, dass noch einige Härten vor mir liegen, von denen ich weiß, wie sie sich anfühlen und die man nicht gerne noch einmal erlebt.
Zutiefst dankbar bin ich für meinen Glauben. Ich wüsste nicht, wie ich diese Zeit ohne ihn überstehen könnte. Natürlich weiß ich, dass das auch nicht gläubige Menschen schaffen. Mir würde es ohne meinen Glauben bei weitem nicht so gut gelingen. Es gab einige Phasen, in denen ich emotional völlig am Boden war und nur deswegen nicht abstürzte, weil ich mich an Jesus festhalten konnte. Und dann ganz real erleben durfte, wie ich getragen wurde. Viele waren überrascht, dass ich mit meiner Diagnose und auch während der harten Zeiten, durch die ich im Spital gegangen bin, so positiv bleiben konnte. Ich kenne mich selbst gut genug um zu wissen, dass mir das nur möglich war, weil Jesus Christus mich getragen hat. Ich hätte das nicht geschafft ohne diesen Beistand. Und auch nicht ohnen den Beistand vieler lieber Leute, die an meiner schweren Erkrankung Anteil genommen haben und mich in ihren Gedanken und Gebeten getragen haben. Auch dafür bin ich zutiefst dankbar.
Ein letzter Punkt noch, für den ich ebenfalls so dankbar bin:
Ursprünglich hätte ich am 31. Oktober wieder ins Spital müssen. Dass ich bis 04. November daheim sein kann, verdanke ich dem sehr guten Ergebnis der Chemotherapie. Am 31. Oktober lege ich nach über einem Jahr Vorbereitung mein Gelübde als Ordensmitglied des Order of the Mustard Seed ab. Damit beginnt für mich ein neuer Lebensabschnitt. Dass ich länger als geplant daheim sein kann macht es mir möglich, daheim und in aller Ruhe bei der Zeremonie dabei zu sein. Die findet in Rotterdam statt, ich werde „nur“ online dabei sein. Abgesehen davon, dass es absolut unvernünftig gewesen wäre, jetzt diese Reise zu machen, hätte sie mein Körper sowieso niemals geschafft. Deshalb: Ein Lob auf die neuen Technoligien und dass sie uns seit Corona so vertraut geworden sind.
Für alle die es nicht wissen: Nein, ich gehe nicht ins Kloster. Ich werde da, wo ich bin, nach den Ordensregeln leben, die sehr einfach sind: Jesus treu sein. Freundlich zu meinen Mitmenschen. Und die Botschaft von Jesus weiterzugeben an jeden, der sie hören will. Der OMS (so das offizielle Ordenskürzel) ist keine elitäre Gruppe, im Gegenteil. Es ist ein Haufen ganz normaler Menschen, die – so wie ich – begriffen haben, dass sie es ohne Hilfe nicht schaffen, sich selbst eine gute Struktur und gesunde Routinen zu geben. Und die deswegen dankbar sind dafür, dass der Orden und seine Regeln ihnen genau da hilft, in dem er so etwas wie ein Spalier (Rankgitter) darstellt, an dem man den Halt und die Stütze findet, die man sich selbst nicht geben kann.
Mehr darüber, wie es zur Diagnose kam, auf wie erstaunliche Weise ich auf diese Zeit vobereitet wurde und wie ich meinen ersten Spitalsaufenthalt erlebte folgt demnächst, immer abhängig davon, wie es um meinen Energielevel steht.
Bildquelle: Karl Marth/Otto Erlacher, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons