Ich wusste nicht, wie arm ich bin!

Unlängst habe ich bei diesem Online-Rechner unser Haushaltseinkommen eingegeben und war baff, als ich das Ergebnis erfuhr: Wir gehören Einkommensmäßig zu den untersten 20%! Also maximal untere Mittelschicht. Wow! Wenn ich mit viel gerechnet hätte, aber damit nicht. Denn wenn ich mir unseren Haushalt ansehe, und sehe, was wir alles haben und uns leisten können, fühle ich mich sowas von nicht arm. Im Gegenteil, ich bin zutiefst dankbar, dass es uns finanziell so gut geht, dass wir so eine schöne Wohnung haben, uns so viele Extras leisten können, auf Urlaub fahren können, und, und, und. Da weiß ich von vielen in meinem Umfeld, denen es nicht so gut geht. Und ich kenne den Unterschied zwischen unserem Haushaltseinkommen und dem von jenen, die nicht auf der Butterseite des Lebens daheim sind, weil sie keine so gute Ausbildung machen konnten wie meine Frau und ich, und zu denen das Leben bei weitem nicht so freundlich war. Wieso fühle ich mich trotzdem so unglaublich reich?

Zum einen ist da der Unterschied zu früher. Meine Frau und ich kommen beide aus sehr einfachen Verhältnissen. Meine Eltern waren nicht reich. Mein Vater in Frühpension, meine Mutter, eigentlich gelernte Fürsorgerin, verdiente als Haushaltshilfe dazu, weil sie in ihrem ursprünglichen Beruf nach der langen Kinderpause keine Arbeit mehr fand. Wir hatten ein Haus gebaut das abzuzahlen war. Da blieb nicht mehr viel übrig. Zum Essen gab es das Gemüse aus dem eigenen Garten und ansonsten das meiste vom Diskonter. Urlaub gab es schon wegen des riesigen Gartens, der versorgt werden musste, nicht. Unsere Autos, auf die man am Land nun einmal angewiesen ist, waren immer solche, die mein Vater billig kaufte und die bei uns das Gnadenbrot bekamen bevor die Altersschwäche sie endgültig dahinraffte. Schikurs war auch nicht jedes Mal drin. Während meiner Berufsausbildung betrug mein Monatsbudget 3.300 Schilling, das sind in neuer Währung 250 Euros. Davon gingen meist um die 80 Euro weg fürs Telefon, das damals noch Festnetz und teuer war, und vom Rest lebte ich. Man kann sich vorstellen, wie üppig meine Küche war. Neues Gewand ließ ich mir schenken, kaufen konnte ich mir in den drei Jahren von diesem Geld keines.

Damals habe ich gelitten unter der permanenten Geldknappheit. Heute bin ich dankbar dafür, dass ich weiß, wie es sich lebt, wenn man arm ist. Weil das für mich so vieles relativiert. Und noch etwas wichtiges kommt dazu: Schon Anfang 20 habe ich gesehen, wie echte Armut aussieht. Wir waren von 1991 bis 1993 mehrmals mit Hilfstransporten in Rumänien, das damals bitterarm und tiefster Ostblock war. Damals machte es einen schon betroffen, wenn man über die Grenze nach Ungarn fuhr, weil das Land so kurz nach der Wende noch geprägt war von der Kommunistischen Mangelwirtschaft, in der es von nichts genug gab und alles nur irgendwie am Laufen gehalten wurde. Der Sprung von Ungarn nach Rumänien war dann noch schlimmer als der von Österreich nach Ungarn. Es war schockierend zu sehen, wie die brutale Diktatur das Land auf unvorstellbare Weise heruntergewirtschaftet hatte. Ich habe dort Dinge gesehen, die ich nicht geglaubt hätte, wenn sie mir jemand erzählt hätte. Fabriken, die nichts als riesige rostige Schrotthalden waren. Mehrstöckige Rohbauten, die so furchtbar gebaut waren, dass man sich fragte, warum die eigentlich stehen bleiben, und deren Wasserversorgung aus einem Wasserhahn am Rohr mitten im Dreck bestand. Unvorstellbar heruntergerittene Straßenbahnen, die im Schneckentempo auf Gleisen dahinstolperten, die so kaputt waren, dass man sich fragte, wie in aller Welt da überhaupt irgend etwas darauf fahren kann. Ich werde diese Bilder nie vergessen. Aber auch meine Reisen in die ländliche Türkei, in eine arme Gegend Indiens, und nach Peru und Bolivien haben mir deutlich vor Augen geführt, in welch unfassbarem Wohlstand ich hier eigentlich lebe.

In diesem Sinne denke ich mir: Selbst wenn ich in Österreich nur zu den untersten 20% gehöre, bin ich dennoch zutiefst dankbar, so reich zu sein und in so einem reichen Land leben zu dürfen, in dem es uns so unglaublich gut geht. Selbst wenn wir für österreichische Verhältnisse gar nicht so viel haben – global gesehen gehören wir damit immer noch zu den reichsten 10%, und damit zu einer unglaublich privilegierten Elite.