Über das Dilemma christlich korrekter Sprache.

Steht uns Christen unsere eigene, fromme Sprache vielleicht viel mehr im Weg als sie uns hilft?
Ich achte in der Kirche seit vielen Jahren auf meine Sprache. Mir ist es wirklich wichtig, nicht in christlichen Jargon zu verfallen. Besonders wenn ich predige. Ich suche immer wieder nach verständlichen Ersatzbegriffen für klassische christliche Fachbegriffe. Und wenn ich sie doch verwende, dann erkläre ich sie zumindest immer kurz. Unser Motto als Vineyard Wien ist: „Komm wie du bist!“. Wenn es uns damit wirklich ernst ist, dann gehört für mich dazu, dass bei uns innerhalb der Kirche genauso gesprochen wird wie außerhalb. Es darf in unserer Kirche keine „Sprachbarriere“ in Form eines frommen Jargons geben, mit dem Menschen, die zu uns kommen weil sie sich für Gott interessieren, nichts anfangen können.
 
Umso mehr hat es mich getroffen, was mir in der Vorbereitung zu meiner Predigt vom 06. März aus unserer Reihe zum Kolosserbrief aufgefallen ist. In Kapitel 1 Vers 18 steht in den meisten gängigen Übersetzungen, dass Jesus das „Haupt“ ist, und die Gemeinde, also die weltweite Kirche, sein „Leib“. So weit, so gut. Das Bild kenne ich seit Jahrzehnten. Und trotzdem haben mich die beiden Wörter diesmal stutzig gemacht. Und habe ich mir gedacht: Warum schreiben da alle vom „Haupt“ und  vom „Leib“? Kein Mensch redet so. Auch ich nicht. Nicht im Traum käme ich auf die Idee zu sagen: „Mein Haupt schmerzt mich“ wenn ich Kopfweh habe. Und meinen Körper habe ich auch noch nie „Leib“ genannt.
 
Diese beiden Wörter sind für mich sehr lebensfremde Begriffe. Außer in der Bibel tauchen die ich in meiner Sprache nie auf. Das weiß ich schon länger, aber diesmal wurde mir plötzlich etwas ganz anderes klar: Nämlich, was es mit mir macht, dass diese Worte so weit weg von mir selbst sind. Wenn ich ehrlich in mich hineinspüre, dann sind das für mich irgendwelche abstrakten Bilder, die mit mir selbst überhaupt nichts zu tun haben. Und das ist das Gegenteil von dem, was Paulus wollte: Paulus verwendet an dieser Stelle ein sehr lebensnahes Bild, mit dem jeder Mensch etwas anfangen kann. Jeder Mensch hat einen Kopf und einen Körper. Jeder Mensch weiß, wie sich Kopf und Körper zueinander verhalten. Dieses Bild betrifft mich. Es macht etwas mit mir. Vor allem, wenn ich mir überlege, was das konsequent zu Ende gedacht für mich persönlich bedeutet. Und genau dort möchte Paulus mich und uns alle hinführen.
 
Was mir plötzlich erstaunlich klar wurde ist: Mit diesen „frommen“ Wörtern halte ich die Botschaft nicht nur von den Menschen, die nicht in die Kirche gehen, fern. In Wirklichkeit halte ich die Botschaft damit auch von mir selbst fern. Ein Vergleich, der sehr lebensnah und praktisch ist, und der mich deshalb auch wirklich berührt, wird durch diesen seltsamen, frommen Jargon plötzlich zu einem völlig abstrakten, fernen Bild, das mit mir selbst gar nichts mehr zu tun hat. Mit frommem Jargon baue ich also in Wirklichkeit nicht nur eine Mauer zwischen den Menschen innerhalb der Kirche und denen außerhalb, sondern auch eine Mauer zwischen meinem Innersten und Gott.
 
Ja, natürlich, Gott ist nicht banal, er ist absolut „heilig“ (schon wieder so ein frommes Wort), und es ist so verführerisch, dass wir als Christen diese „Heiligkeit“ durch eine „heilige“ Sprache hervorzuheben versuchen. Nur: Hilft uns das wirklich weiter? Erreichen wir damit das, was wir uns wünschen? Ich befürchte nein. Spannend in dem Zusammenhang ist auch, dass selbst Christen oft genug Mühe haben zu erklären, was das Wort „heilig“ tatsächlich bedeutet. Wer sich unsicher ist: Schaut euch einmal dieses Video hier an.
 
Ein ganz praktisches Beispiel: Das Wort „Sünde“ kennt jeder Mensch. Jeder hat dazu ein Bild im Kopf. Die entscheidende Frage ist nur: Was genau ist das für ein Bild? Und ist das Bild in den Köpfen der Menschen das, was Gott damit meint? Müssen wir ihn benutzen, weil wir sonst die Botschaft von Jesus „verwässern“? Ich habe dazu etwas interessantes beobachtet, das mich sehr nachdenklich gemacht hat:
 
Vor 2 Jahren war Scott McNamara bei uns in der Vineyard und hat uns seinen Dienst „Jesus At The Door“ vorgestellt. Gott hat ihm neun einfache Fragen gezeigt,  mit denen man Menschen helfen kann, eine Entscheidung für Jesus zu treffen. Dabei muss natürlich auch das Thema Schuld und Verfehlungen angesprochen werden. Schließlich ist das der Kern von Gottes Angebot an uns, dass er uns genau davon befreien will. Das interessante für mich war: Wenn ich in diesem Zusammenhang das Wort „Sünde“ verwendet habe, haben die Menschen so gut wie immer abwehrend reagiert. Wenn ich hingegen von „Schuld“ und „Verfehlungen“ gesprochen habe, haben die meisten darauf betroffen reagiert und gesagt: Ja, ich habe mich schuldig gemacht, ich habe Dinge falsch gemacht, ich habe Menschen verletzt, usw. Meine Schlussfolgerung daraus ist: Martin Luther hatte doch recht. Wenn wir die Botschaft von Jesus den Menschen hier und heute begreiflich machen wollen, dann müssen wir dafür Wörter verwenden, die den Menschen hier und heute geläufig sind.
 
Möglicherweise gibt es in den Köpfen von uns Christen einen fatalen Denkfehler: Natürlich geht es nicht, dass wir die Schuld von uns Menschen so darstellen, als ob das alles eh nicht so schlimm wäre. Unsere Schuld ist nicht nur schlimm, sie ist katastrophal, egal ob ich das sehen kann oder nicht. Das muss mir bewusst werden. Die entscheidende Frage ist: Wie wird mir das bewusst? Was hilft mir dabei? Meine Erfahrung ist: Dass Menschen sich auf eine gute Weise ihrer Schuld und ihrem Versagen stellen können, ist ihnen leichter möglich, wenn man genau diese Wörter verwendet anstatt des Begriffes „Sünde“, von dem man – sehr im Gegensatz zum altgriechischen Wort „hamartia“, das die Autoren der Bibel am öftesten für „Sünde“ verwendeten – nicht einmal sicher weiß, wo er herkommt und was er ursprünglich bedeutete.
 
Aber das ist nicht das einzige Problem: Stellen wir uns doch bitte auch einmal die ehrliche Frage, was dieser fromme Jargon mit uns selbst macht. Und ob nicht das Gegenteil dessen geschieht, was wir befürchten: Dass nämlich der Verzicht darauf die Botschaft von Jesus keineswegs „verwässert“. Vielleicht passiert ja gerade das Gegenteil, wenn ich sie in Worte packe, die Teil meiner Alltagssprache sind: Dass sie dann nämlich auch für mich selbst viel lebendiger wird, mich viel mehr persönlich anspricht, betroffen macht, ermutigt und herausfordert. Wir müssen ja nicht gleich ins andere Extrem der Sprache der Volxbibel verfallen. Es reicht, wenn wir, wie der Volksmund so schön sagt, mit und über Gott einfach „so reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist“. Gott weiß sowieso, wie es in unserem Innersten aussieht. Ich finde das sehr tröstlich, denn er weiß es nicht nur, er versteht auch viel besser als ich selbst, warum es dort drinnen so aussieht. Nur, wenn er es ohnehin schon weiß: Dann ersparen wir uns und ihm doch bitte die Mühe, das Offensichtliche in einen möglichst „frommen“ und „heiligen“ Jargon zu verpacken. Er ist unser Vater. Er liebt uns unglaublich. Was soll da bitte schlimmes passieren, wenn ich ihm einfach nur ehrlich sage, wie es mir geht? Also. Dann hören wir doch bitte auf mit dem frommen Theater. Ihm und uns selbst zuliebe.
 
Übrigens: Für alle, die eine kleine Hilfestellung dabei brauchen, christlichen Jargon durch Alltagssprache zu ersetzen, habe ich mir einmal den Spaß gemacht, und eine Handvoll Begriffe von Christ nach Deutsch übersetzt. Zum Lesen hier klicken!